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Wenn’s um Design geht hat jeder eine Meinung – ich auch … 

Was ist gute Gestaltung? Diese Frage wurde mir als Designer schon oft gestellt. Auch ich selbst bin immer wieder über diese Frage gestolpert aber habe sie für mich aber noch nie abschliessend beantwortet. Kann die Frage überhaupt allgemeingültig beantwortet werden? Kann Gestaltung bewertet werden? Wenn ja, durch welche Parameter? Und was verstehen wir überhaupt unter dem Begriff Gestaltung oder Design? Auf der Suche nach meiner eigenen, sinnvollen Parametrisierung für gute Gestaltung hier ein Teil meines Résumés.

Wer selbst sucht, stösst schnell auf den deutschen Industriedesigner Dieter Rams und seine zehn Thesen (70er Jahre) über gutes Design. Während meinen letzten 14 Jahren als Gestalter, bin ich seiner These schon oft begegnet. Seine klaren Formen und Sinn für einfache Bedienbarkeit hat mich schon fasziniert, als ich das Wort Usability noch nicht einmal kannte. Er hat es geschafft, seine Philosophie in 10 Grundregeln zu verdichten. Seine Thesen sind aus meiner Sicht zeitlos und auch heute noch gültig. Dieter Rams selbst meint zugleich «gutes Design befindet sich in ständiger Weiterentwicklung – genau wie Technologie und Kultur». Ja, die Welt hat sich weiterentwickelt und wurde um die Digitale Dimension reicher. Bedienbarkeit die man aus dem Industriedesign kennt, wurde zu Software Ergonomie und schliesslich zu Usability.

Die 10 Thesen von Dieter Rams: Gutes Design …
… ist innovativ.
… macht ein Produkt brauchbar.
… ist ästhetisch.
… macht ein Produkt verständlich.
… ist unaufdringlich.
… ist ehrlich.
… ist langlebig.
… ist konsequent bis ins letzte Detail.
… umweltfreundlich.
… ist so wenig Design wie möglich.

Rams beschreibt zwar die Punkte Verständlichkeit, Brauchbarkeit und Konsistenz. Um Gestaltung in Hinsicht auf Usability zu beurteilen, reichen die Thesen aber nicht mehr aus. Es erfordert eine differenziertere Beurteilung. Da gibt es zum Beispiel die Heuristik von Nielsen, die es erlaubt die Usability eines Produktes schnell und über den Daumen zu beurteilen. Bei evux nutzen wir die Heuristik vor allem, um mittels Expert Review die Usability eines Produktes zu beurteilen.

Usability Heuristik, Jakob Nielsen:

  1. Visibility of system status
  2. Match between system and the real world
  3. User control and freedom
  4. Consistency and standards
  5. Error prevention
  6. Recognition rather than recall
  7. Flexibility and efficiency of use
  8. Aesthetic and minimalist design
  9. Help users recognize, diagnose, and recover from errors
  10. Help and documentation

Weitere Definitionen und Gestaltungskonzepte

Ein Service tritt aber selten in einem einzelnen Produkt auf. Meist gibt es verschiedene Touchpoints, die gestaltet werden können. Plötzlich muss Gestaltung also über verschiedene Kanäle und Medien funktionieren. Dies wird in keinem der zuvor genannten Systeme thematisiert. Bei evux haben wir drei Regeln erarbeitet, die uns bei der Gestaltung im Omnikanalkontext helfen.

Ein zusätzliches Bindeglied ist die Marke. Eine Marke soll in der Wirtschaft funktionieren. Es kommen also Business-Faktoren dazu. So soll ein gutes Branding zum Beispiel Emotionen auslösen und schlussendlich eine Kaufentscheidung auslösen. Gleichzeitig soll eine Marke ehrlich sein und für extern wie auch intern die Identifikation stärken. Dazu bin ich im Internet auf folgende Definition von gutem Branding gestossen:

  1. zeitlos
  2. nicht offensichtlich oder selbstverständlich für jeden
  3. einprägsam
  4. Mitarbeiter können sich damit identifizieren, sind begeistert davon
  5. intern und extern konsistent
  6. beantwortet warum oder wie – nicht was
  7. stark und reizend
  8. emotional
  9. eindeutig, unterscheidbar
  10. ist verzahnt mit der Vision
  11. aus der Sicht des Kunden
  12. nachvollziehbar, erkennbar
  13. gut genug, um dafür zu bezahlen

Business-Anforderungen in der Gestaltung:

Grafik über Anforderungen für eine gute Gestaltung

Neben den Benutzerbedürfnissen und den Business-Anforderungen sind aber für eine gute Gestaltung auch die technologischen Aspekte nicht zu vernachlässigen. Das «Design Innovation Diagram» von Christian Scholz finde ich recht passend, um die Aspekte von gutem Design aufzuzeigen.
Das Diagram ermöglicht es mir, die Aspekte von Rams, Nielsen und gutem Branding, zu verorten, und zusätzlich meine eigenen Kriterien für gute Gestaltung zu formulieren:

1 ) Gute Gestaltung erfüllt ein Bedürfnis des Nutzers

Gute Gestaltung ist eigentlich die Voraussetzung für ein Projekt, wird aber doch immer wieder vernachlässigt. Ein Produkt hat einen Zweck und erfüllt damit ein spezifisches Bedürfnis des Nutzers. Die Gestaltung soll dieses Bedürfnis optimal unterstützen. Die Gestaltung soll dem Betrachter noch verständlicher machen, um welches Problem es sich handelt, und wie dies gelöst wird. Durch User Research wird das Problem verstanden, Design bringt Ansätze, um das Problem zu lösen. Alle offenen Fragen lassen sich nach einem übergeordneten Ziel beantworten.

2 ) Gute Gestaltung erlaubt eine reibungslose Verwendung

Gestaltung soll den Betrachter oder Nutzer möglichst effizient zum Ziel bringen. Die Gestaltung soll einen Sachverhalt verständlich machen. Gestaltung soll den Nutzer unterstützen, leiten, und zur gewünschten Tätigkeit auffordern. Gestaltung soll eindeutig sein. Dieser Punkt beinhaltet für mich alles, was zu einer guten Benutzerfreundlichkeit gehört.

3 ) Gute Gestaltung ist zeitlos und doch erweiterbar

Zeitlosigkeit heisst, ein Gut ist beständig und langlebig, sie strahlt Ruhe und Verlässlichkeit aus und dies bringt Vertrauen mit sich. Und Zeitlosigkeit ist aber nicht mit Stillstand gleichzusetzen. Ein Produkt darf sich trotzdem verbessern und sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln können. Die Gestaltung soll diese Fähigkeit unterstützen und eine Erweiterbarkeit mit sich bringen.

4 ) Gute Gestaltung heisst, die verfügbare Technologie maximal auszuschöpfen

In einer idealen Welt ist alles möglich, in der Realität ist dies aber selten der Fall.
Es gibt technologische Einschränkungen und ein beschränktes Zeitbudget. Entwicklungszeit ist teuer. Umso wichtiger ist es, sich häufig mit dem interdisziplinären Team auszutauschen. So können Schwierigkeiten früh adressiert werden, vor allem aber entsteht ein Austausch von verschiedenen Sichtweisen.
Wichtig finde ich zu verstehen, dass Technologie kein Zaubermittel ist. Eine Idee oder eine Geschichte macht ein gutes Produkt aus. Die Technologie ermöglicht, eine Idee über den gewünschten Kanal zu vermitteln, oder eine Interaktion zu ermöglichen. Beim Umsetzen ist die Herausforderung, dieser Idee durch möglichst einfache Mittel gerecht zu werden. Oder eine bestehende Technologie neu zu interpretieren und anders zu nutzen als bisher.

5 ) Gute Gestaltung ist authentisch und einzigartig

Vielen Produkten fehlt die Seele oder der Charakter. Klar muss ein digitales Design gewissen Mustern folgen, damit sich der Nutzer zurechtfindet. Aber es muss nicht alles amerikanisch oder «gschläcket» sein. Mut zur Eigenständigkeit. Mut zur Ehrlichkeit. Und Mut zum Charakter. Und es lohnt sich, Liebe ins Detail zu stecken, um dem Ding noch mehr Kanten zu verleihen. Charakter wird aber auch durch Menschlichkeit übertragen. Eine Gestaltung ist für mich auch gelungen, wenn man die Werte hinter der Marke spürt.

6 ) Gute Gestaltung trifft die richtige Emotion

Gute Gestaltung löst beim Betrachter das richtige Gefühl aus. Einer der schwierigsten Punkte, da dies durch alle Faktoren eines Produktes beeinflusst wird.

Verallgemeinert kann ich sagen, gute Gestaltung ist nie gleich. Sie ist die Kombination von verschiedenen Qualitäten. Die Herausforderung liegt darin, die richtigen Qualitäten zu bestimmen und diese durch die Gestaltung zu übermitteln.

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