zurück zur Übersicht

Wie Gerüche das Kundenerlebnis beeinflussen (Teil 1)

Stell dir vor, du wirst zu einem Beratungsgespräch in eine Bank- oder Versicherungsfiliale eingeladen. Du betrittst ein schönes, helles und offenes Gebäude, wirst freundlich begrüsst, bekommst einen guten Kaffee, hast ein informatives Gespräch mit einer kompetenten Beratungsperson und alles, was dir nach dem Gespräch in Erinnerung bleibt, ist der (zu starke) Parfümgeruch deines Beraters oder deiner Beraterin.

Tatsächlich haben wir das bei unseren Feldforschungen schon erlebt. Das beobachtete Gespräch war inhaltlich und prozessual top – aber die Kundin erinnerte sich bei der Nachbefragung kaum an das Gespräch, weil sie vom Parfümgeruch der Beratungsperson abgelenkt war. Das Filialkonzept kann noch so ausgeklügelt, die digital-unterstützte Beratung noch so gut und die Beratungsperson noch so kompetent sein: Das Riechen bestimmt unser Leben weit mehr, als wir glauben (Hatt & Dee, 2019).

Wir befassen uns deshalb in unserem jüngsten evux Lab-Projekt mit der olfaktorischen Wahrnehmung – also dem Riechen. Wir fragen uns: Welchen Einfluss haben Gerüche in einer Bankfiliale auf das Kundenerlebnis?

Die Wirkweise von Gerüchen im Kundenerlebnis

Duftmarketing ist keineswegs eine Neuerscheinung und wird in den verschiedensten Branchen und Kontexten angewendet, wie kürzlich auch ein SRF Kassensturzbericht zeigte. Wir haben gelernt, dass die eine oder andere Bank bereits eine hauseigene Duftmischung nutzt. Aber auch Baumärkte, Elektronikgeschäfte und sogar Parkhäuser setzen auf ein gezieltes Riech-Erlebnis. Denn: Studien zeigen, dass Gerüche unter anderem die Kaufbereitschaft von Kundinnen und Kunden erhöhen können (Kivioja, 2017; Kechagia & Drichoutis, 2017).

Gerüche können anregend, beruhigend, entspannend, kräftigend oder temperierend wirken (Schreiber Essenzen). Dem Lavendel wird eine entspannende Wirkung nachgesagt, während Zitrusfrüchte oft konzentrationsfördernd sein können und Zimt als wärmend erachtet wird – nur um einige Beispiele zu nennen. Ein Geruch kann auch Emotionen und Erinnerungen triggern: Denk nur mal an den Geruch frisch gebackener Gipfeli oder Regen an einem warmen Sommertag. Der Duft von Ringelblumen erinnert dich vielleicht an deine Grossmutter. Die olfaktorische Wahrnehmung ist stark mit unseren persönlichen Erlebnissen verknüpft.

Darüber hinaus kommt eine zusätzliche Portion Subjektivität hinzu: Was für den Einen zu stark ist, ist für die Andere genau richtig. Was die Eine mag, gefällt dem Anderen gar nicht. Gerade bei einer solchen Komplexität wäre es wünschenswert, früh und oft zu testen (denn ihr wisst ja, Testen ist am Besten!). Aber bei olfaktorischen Erlebnissen ist das gar nicht so einfach und oft mit viel Zeit und Aufwand verbunden (Brooks & Lopes, 2023). Für einige der Methoden wie zum Beispiel dem O&O (Open-source & Olfaction) toolkit von Lei et al. (2022) braucht man ausserdem schon fast einen Ingenieurs-Abschluss. Diese Erkenntnis hatten auch Brooks und Lopes (2023). Ihr Ziel war es, eine Methode aus Alltagsmaterialien zu entwickeln, die die Iterationen kurz hält und dabei zugänglich sowie billig sein soll: das «Smell & Paste low-fidelity prototyping toolkit for olfactory experiences». Und genau diese Methode haben wir im evux Lab getestet!

Die Smell & Paste Methode

Das Vorgehen ist auf den ersten Blick recht simpel. Man benötigt eine Kassette, die entweder aus Karton gebaut oder im 3D-Drucker erstellt wird und klebt sogenannte «Scratch-and-Sniff»-Sticker (ja genau, die Kleberli, die wir vermutlich alle aus der Kindheit kennen) auf ein Papierband. Mithilfe eines Rädchens bewegt man das Papierband mit dem aufgeklebten Sticker über die raue Seite eines Stücks Klettband und aktiviert dadurch den Geruch. Somit lassen sich Geruchs-Sequenzen aller Art prototypisieren. Sei es für (Virtual Reality) User Interfaces, physische Produkte oder eben auch Bereiche in einer Bankfiliale. Die modernen Filialkonzepte enthalten heute vielfach unterschiedliche Zonen: Automaten, Empfang, Getränke-Ecke, Informations-Bereiche, Beratungszonen und Ähnliches. Wenn man als Kunde oder Kundin durch diese Zonen läuft, ergibt sich die Sequenz.

Unser Plan war also klar:

  1. Kassette herstellen
  2. Sticker organisieren
  3. die Sequenz definieren und dazu eine «Geruchs-Hypothese» aufstellen
  4. die Hypothese sowie die Methode mit echten Kundinnen und Kunden testen

Einfach, oder? Das dachten wir auch – aber einfach kommt nicht einfach so!

Vielfältige Herausforderungen während des Erstellungsprozesses

Tatsächlich ist es in der Schweiz relativ schwierig, an die Scratch-and-Sniff-Sticker zu kommen. Ein Grossteil der Anbieter liefert gar nicht in die Schweiz oder nur gegen relativ hohe Versandkosten. Viele Anbieter führen ausserdem nur eine beschränkte Auswahl an Gerüchen. Wir haben uns schlussendlich für EverythingSmells entschieden und verfügen nun über insgesamt 36 verschiedene Gerüche. Auf Rose und Lavendel mussten wir leider verzichten, da sie nicht vorrätig waren. Es sind dennoch einige sehr spannende Duftnoten dabei.

Alternativ hatten wir zwischenzeitlich die Idee, statt den Stickern ätherische Öle zu verwenden. Es gibt jedoch drei wesentliche Punkte, die dagegen sprachen:

  1. Die ätherischen Öle vermischen sich auf dem Duftträger.
  2. Es würde nicht mehr der originalen Methode entsprechen.
  3. Bei Kassetten aus dem 3D-Drucker besteht die Gefahr, dass die Öle das Plastik spröde machen.

Bei der Kassette haben wir uns für die Variante des 3D-Drucks entschieden – und dabei viel gelernt! Es handelt sich nämlich um viele kleine Einzelteile, die besonders filigran sind. Ohne ausreichendes Fachwissen rund um 3D-Druck ist man auf einen Profi angewiesen.

Unsere Kassette besteht aus PET-G/ABS mit einer Slicer-Dichte von 0.1 mm. Dadurch ist sie möglichst luftdicht und stabil. Aber: sie hält nicht für die Ewigkeit und ein sorgsamer Umgang ist Pflicht. Ob Testpersonen damit zurechtkommen, wird sich noch zeigen. Unser Fazit: Der 3D-Druck ist (wenn man es nicht selbst macht) auf jeden Fall kostenintensiver als die Karton-Variante und beansprucht mehr Expertise und Zeit, als wir erwartet hatten.

 

Allen Widrigkeiten zum Trotz konnten wir schliesslich fortfahren. Dazu nahmen wir uns einen Vormittag Zeit und legten alles Notwendige bereit. Unsere Bastelstube enthielt u. a. die «Scratch-and-Sniff»-Sticker aus Amerika, Klettband, Klebefilm, Kopierpapier, Schere und Pinzette und unsere im 3D-Drucker gefertigten Teile.

Wir merkten schnell, dass wir exakt arbeiten müssen, um alle Teile funktionierend zusammenzufügen. Das Papier schnitten wir in Bahnen in der Breite der Spulen und klebten sie zu einem langen Band (vgl. Tonband einer Musikkassette) zusammen.

Richtig heikel wurde es beim Einbringen des Klettbands in den Kamm (ein kleiner Spalt, siehe Foto). Noch dazu mussten wir ein Gegenstück aus dickem Karton basteln, damit das Papier stark genug eingeklemmt zwischen Klettband und Karton verläuft, sodass der Sticker durch die Reibung des Klettbands seinen Geruch auch wirklich abgibt.

Der Zusammenbau hat uns einiges an Feinmotorik abverlangt, umso stolzer sind wir auf das Ergebnis – die Duftkassette funktioniert!

Person klebt Klettband in den Kamm der 3D-gedruckten Kassette

Einkleben des Klettbands in den Kamm der Kassette – feinmotorisches Zusammenfügen par excellence

Die Hypothese zum Kundenerlebnis aufstellen

Als Nächstes haben wir die Grundrisse zweier uns bekannter Bankfilialen aufgezeichnet und sie in je fünf Bereiche eingeteilt:

  • Bankomat
  • Kaffee & Snacks
  • Wartebereich (Lounge)
  • Beratung
  • Interaktiver Beratungsbereich

Nun kam unsere recherchierte Liste mit Gerüchen und ihrer psychologischen Wirkung zum Einsatz. Mit Hilfe einer generativen KI ordneten wir die Düfte entsprechend ihrer Effekte den verschiedenen Filialbereichen zu. Das Ergebnis war jeweils eine Auswahl von drei bis sechs Gerüchen.

Um festzulegen welche Gerüche wir für unsere Sequenz einsetzen wollen, führten wir eine kleine Vorstudie im evux-Team durch: zwei Männer und zwei Frauen bewerteten die einzelnen Düfte im Kontext des jeweiligen Bereichs mit Hilfe einer Likert-Skala von 1 (geht gar nicht) bis 5 (passt perfekt). So haben wir folgende Gerüche je Bereich zugeordnet:

  • Bankomat: Eukalyptus
  • Kaffee & Snacks: Kaffee
  • Wartebereich (Lounge): Leder
  • Beratung: Blutorange
  • Interaktiver Beratungsbereich: Holz
Ausschnitt aus einem Whiteboard mit fünf definierten Bereichen des Kundenerlebnisses in einer Bankfiliale mit einer Auswahl an passenden Gerüchen

Die Bereiche einer Bankfiliale und mögliche Duftzuordnungen (Miro-Board)

Nachdem wir uns also durch die Gerüche und deren Beschriebe gearbeitet und eine Hypothese dazu aufgestellt haben, welcher Geruch wann aktiviert werden soll, gilt es, Research im Feld zu betreiben.

Verschiedene Arten der Evaluation

Um zu testen, ob bzw. welchen Einfluss Gerüche auf das Kundenerlebnis haben, bieten sich verschiedene Optionen an. Das Naheliegendste ist eine Evaluation in einer realen Bankfiliale. Ein mögliches Testdesign könnte wie folgt aussehen: Wir schicken Testpersonen einmal ohne und einmal mit der Kassette in vorgegebener Richtung durch die verschiedenen Bereiche der Filiale und testen die Düfte im jeweiligen Bereich.

Da sich die Smell & Paste Methode auch für (Virtual Reality) User Interfaces eignet, kam im Projektverlauf die Idee auf, eine Bankfiliale im Metaverse zu sequenzieren. J.P. Morgan (2022) hat dem Metaverse vor wenigen Jahren eine florierende Zukunft vorausgesagt und ist im Jahre 2022 als eine der ersten Banken weltweit ins Decentraland eingezogen. Wir haben uns also auf die Suche nach dieser Filiale gemacht und mussten ernüchtert feststellen: es gibt sie nicht mehr (siehe Bild).

Avatar im Metaverse "Decentraland" vor dem leeren Grundstück wo früher die J.P. Morgan Bankfiliale stand.

Vanessa in Decentraland vor dem Grundstück, wo früher die J.P. Morgan-Filiale stand.

Der Hype um das Metaverse ist wohl vorbei … schliesslich setzt J.P. Morgan selbst ein Statement. Es gibt zwar noch die eine oder andere Bankfiliale im Metaverse, diese werden aber nicht mehr aktiv bewirtschaftet. So sind bei einigen die Inhalte entfernt, veraltet oder der Knopf im Fahrstuhl funktioniert nicht und man kommt gar nicht in die oberen Stockwerke.

Das haben wir bisher gelernt

  • Gerüche können das gesamte Kundenerlebnis stark beeinflussen – auch dann, wenn die Customer Journey objektiv positiv war.
  • Geruchsdesign ist ein zentraler Teil multisensorischer Gestaltung.
  • Olfaktorisches Prototyping ist schon lange möglich, die gängigen Methoden waren bisher jedoch zeit- und ressourcenintensiv.
  • Für die Herstellung der Kassette im 3D-Drucker braucht es eine vertiefte Expertise.
  • In die Erstellung der Hypothese müssen unbedingt mehrere Personen einbezogen werden.
  • Die Kassette funktioniert und das Erstellen einer Hypothese macht sehr viel Spass!
  • Der Hype rund ums Metaverse ist – zumindest im Bankenbereich – abgeflaut.

Im zweiten Teil werden wir euch unsere Erkenntnisse zum erweiterten Kundenerlebnis präsentieren. Seid gespannt!

3D-gedruckte Kassette mit eingespanntem Papierband und aufgeklebtem Scratch-and-Sniff Sticker zur Untersuchung des Einflusses von Gerüchen auf das Kundenerlebnis in einer Bank.

Geöffnete Kassette mit eingespanntem Papierband und aufgeklebtem Scratch-and-Sniff Sticker.

 


Quellen

Jas Brooks and Pedro Lopes. 2023. “Smell & Paste: Low-Fidelity Prototyping for Olfactory Experiences.” In Proceedings of the 2023 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI ’23). Association for Computing Machinery, New York, NY, USA. DOI:10.1145/3544548.3580680

Lei, Y., Lu, Q. & Xu, Y. (2022). O&O: A DIY toolkit for designing and rapid prototyping olfactory interfaces. CHI Conference On Human Factors in Computing Systemshttps://doi.org/10.1145/3491102.3502033

Kivioja, K. (2017). Impact of point-of-purchase olfactory cues on purchase behavior. Journal of Consumer Marketing, 34, 119-131. https://doi.org/10.1108/JCM-08-2015-1506.

Kechagia, V., & Drichoutis, A. (2017). The effect of olfactory sensory cues on willingness to pay and choice under risk. Journal of Socio-economics, 70, 33-46. https://doi.org/10.1016/J.SOCEC.2017.07.005.

Hatt, H. & Dee, R. (2019). Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken.

J.P. Morgan. (2022). Opportunities in the metaverse. https://www.jpmorgan.com/content/dam/jpm/treasury-services/documents/opportunities-in-the-metaverse.pdf

Haben Sie Fragen zum Artikel?